Es ist das Jahr 1924. Die Folgen der Hyperinflation sind im ganzen Deutschen Reich zu spüren. Die radikale Geldentwertung hat die wirtschaftlichen und sozialen Lasten des I. Weltkrieges auf die Massen abgewälzt. Für den Mai des Jahres sind Reichstagswahlen anberaumt. Die im November 1923 vorübergehend verbotene Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) kann seit dem 1. März 1924 wieder und unter neuer Parteiführung tätig werden. Bei den Wahlen erringt sie fast 3 Millionen Stimmen mehr als 1920 und insgesamt 12,6% aller abgegebenen Stimmen. Die SPD verliert nahezu 2 Millionen, erreicht aber immer noch 20%. Radikale nationalistische Parteien – die NSDAP ist zu diesem Zeitpunkt verboten – legen in ihren Ergebnissen ebenfalls beträchtlich zu. Der Versuch der Bildung einer Regierung aus SPD und Deutschnationaler Volkspartei (19,5%) scheitert im Spätsommer. Reichspräsident Ebert löst den Reichstag auf und setzt für den 7. Dezember Neuwahlen an.
Allerdings haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb des Jahres erheblich verändert. Es ist die Zeit der relativen Stabilisierung durch den `Dawes-Plan`, die Zeit der aufgehenden `Dollar-Sonne`. Auch die deutsche Industrie befürchtet einen weiteren Zuwachs von Stimmen an den parlamentarischen `Rändern` und bildet einen Wahlkampffonds, aus dem SPD und bürgerliche Parteien Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Kasse der KPD ist nahezu leer.
In dieser Situation schlagen zwei knapp Dreißigjährige – Erwin Piscator, Felix Gasbarra – eine ungewöhnliche, bis dahin unerprobte Form einer Wahlzeitung vor – eine politische Revue. Und sie geben dem Kind auch gleich einen Namen: `Revue Roter Rummel`. Beide sind Mitglieder der KPD. Piscator ist gerade zum Oberspielleiter der Volksbühne berufen. Gasbarra schreibt für satirische und Agitationsblätter. Sie stehen in enger Verbindung mit George Grosz, John Heartfield und anderen der jungen Berliner künstlerischen Avantgarde. Es mag dem Zeitdruck und der finanziellen Not der KPD geschuldet sein oder an der Hartnäckigkeit der Initiatoren liegen, am 22.11.1924 kommt es jedenfalls im Wahlkampf zur Uraufführung der `Revue Roter Rummel` in einem Pankower Festsaal. Es ist ein in jeder Hinsicht multimediales Ereignis und montiert aus Altem und Neuem `unter skrupelloser Verwendung aller Möglichkeiten: Musik (die steuert Edmund Meisel bei), Chanson, Akrobatik, Schnellzeichnung, Sport, Projektion, Film, Statistik, Schauspielerszene, Ansprache` Texte zu Tageskommentaren roh zusammen. Sie greift auf bekannte Figuren der Commedia, der Operette und Revue zurück und typisiert diese auf die aktuellen Verhältnisse. Unter der Conference eines Proletariers und seine Antagonisten – dem Bourgeois – geht um die Aufweichung des `Achtstundentag`. Ludendorff und Stresemann kämpfen einen Wahlboxkampf. Ein Paar streitet singend über politische Arbeit. Außerirdische wundern sich über die Spaltung der Klasse. Das Berliner Nachtleben der Reichen bekommt sein Fett weg. Die Klassenjustiz wird angegriffen. Ein KPD-Kandidat hält eine Rede. Die da auf der Bühnen stehen, sind Profis und Autodidakten. Und unten im Saal? Männer und Frauen! Da wird getrunken, gegessen, mitgesungen, gejohlt, kommentiert und interveniert. Irgendjemand sagt: `Wenn die KPD immer solche Abende veranstalten würde, ginge ich auch immer mit`.
Es ist die Geburtsstunde einer revolutionären Arbeitertheaterbewegung der Weimarer Republik. Bis zum Wahltag wird die Revue unter großer Resonanz 14mal in Berlin aufgeführt. Bei den Wahlen verliert die KPD zwar im gesamten Reich 1 Million ihrer Stimmen gegenüber dem Mai, kann aber in Berlin ihr Ergebnis bestätigen.
Gut drei Jahre später, im Januar 1928, werden Piscator, Gasbarra, Grosz, Meisel gemeinsam mit Bertolt Brecht in der Piscator Bühne am Nollendorfplatz mit `Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk` unter Rückgriff auf die Multimedialität des Roten Rummels einen der bis heute nachhallenden Höhepunkte dieses revolutionären Theaters inszenieren.